„Gib den Zehnten, und du wirst reich.“
Die Tora verlagt vom jüdischen Bauern, ein Zehntel seines Ertrages den Leviten und den Armen zu geben. Dieser Zehnte heißt maasser. An Schmini Azeret lesen wir einen berühmten Abschnitt aus der Tora, der mit den Worten asser t’asser beginnt. Das bedeutet „Du sollst gewiss den Zehnten geben.“
Warum wird dieser Abschnitt gerade an Schemini Azeret gelesen? Das wird klar, wenn wir daran denken, dass Sukkot ein Erntefest und Schmini Azeret der achte Tag von Sukkot ist (aber auch ein eigener Feiertag). Mit anderen Worten: Die Ernte ist jetzt eingebracht, und die Priester und Leviten sowie Landlose und Arme bekommen ihren Anteil.
Unsere Weisen sehen in den Worten asser l’asser das Versprechen, dass derjenige wohlhabend wird, der sich an das Gebot des maasser hält. Denn die hebräischen Worte asser („den Zehnten geben“) und oscher(„Reichtum“) haben dieselbe Wurzel. Darum sagt ein bekanntes Sprichwort: asser, bischwil schetisascher: „Gib den Zehnten, und du wirst reich.“ Der Talmud enthält viele Geschichten über Menschen, die reich belohnt wurden, weil sie dem Gebot des maasser gehorchten. Eine dieser Geschichten wollen wir hier erzählen.
Im alten Israel lebte einmal ein Bauer, dessen Land Jahr für Jahr tausend Scheffel Weizen abwarf. Da er ein frommer Jude war und die Mizwot der Tora einhielt, legte er gleich nach der Ernte ein Zehntel als maasserbeiseite. Das waren hundert Scheffel Weizen – ein kleines Vermögen. Aber der Bauer gab den Zehnten gerne an die Diener G-ttes im Bejt Hamikdasch und an die Armen weiter. Die restlichen neunhundert Scheffel waren für ihn mehr als genug, und er hatte sogar stattliche Ersparnisse. Der Mann wurde jedes Jahr wohlhabender.
Als es für ihn Zeit war, die irdische Welt zu verlassen, rief der fromme und weise Bauer seinen Sohn zu sich. „Mein Lieber Sohn“, sagte der Sterbende, „G-tt ruft mich und ich gehe mit Freude, denn ich habe ein gutes Leben gehabt und die Gebote der heiligen Tora eingehalten. Alles, was mir gehört, ist nun dein, und du kannst damit machen, was du willst. Aber einen Rat will ich dir geben: Unser Land bringt tausend Scheffel Weizen im Jahr hervor. Versäume es nicht, maasser zu spenden, und du wirst es nicht bereuen.“
Der alte Mann war gestorben, und der Bauernhof gehörte nun seinem Sohn. Als die Erntezeit kam, fuhr auch der Sohn tausend Scheffel Weizen ein, so wie immer. Und auch er gab hundert Scheffel als Zehnten.
Ein Jahr verging, und wieder war es Zeit für maasser. Aber der Reichtum hatte auf den jungen Mann einen schlechten Einfluss. Es gefiel ihm nicht, ein Vermögen zu verschenken, und darum beschloss er, diesmal nur neunzig Scheffel zu spenden.
Im folgenden Jahr brachte das Land nur neunhundert Scheffel hervor. Als der junge Bauer sah, dass sein Einkommen gesunken war, beschloss er, den Verlust auszugleichen und nur noch achtzig Scheffel zu spenden.
Ungeduldig wartete er auf die Ernte des nächsten Jahres. Zu seiner Bestürzung sank die Ernte auf achthundert Scheffel. Nun meint ihr vielleicht, der junge Mann habe gemerkt, was für ein gefährliches Spiel er spielte. Leider nicht … er war stur und verringerte den maasser jedes Jahr mehr. Schließlich lieferte ihm das Land nur noch hundert Scheffel Weizen, so viel, wie sein Vater in der guten, alten Zeit verschenkt hatte.
Der törichte junge Mann war wütend und besorgt. Er lud seine Freunde und Verwandten zu sich ein, damit sie ihn in seinem Unglück trösteten. Aber anstatt Mitgefühl zu äußern, wollten sie lieber feiern. „Seid ihr gekommen, um mich zu beleidigen?“ schrie der junge Mann zornig.
„Aber nein“, antworteten die Gäste fröhlich. „Wir wollen feiern, dass dein Land von deinen Händen in G-ttes Hände übergegangen ist. Bisher warst du der Eigentümer der Felder, und früher hast du ein Zehntel der Ernte G-tt gegeben. Jetzt besitzt G-tt das Land, und er gibt dir ein Zehntel der Ernte. Du bist also ein Levite geworden, und dazu wollen wir dich beglückwünschen.“
Der Junge Mann verstand, was seine Freunde ihm beibringen wollten, und er beschloss, von nun an der Tora zu gehorchen. Ja, unsere Weisen hatten recht, als sie sagten: Asser, bischwil schetisascher.
Quelle: http://www.de.chabad.org/library/article_cdo/aid/5431/jewish/Geben-und-Gewinnen.htm